Ergotherapie in der Onkologie
- Kerstin Kment
- 14. Okt. 2024
- 4 Min. Lesezeit
"Eigentlich ist die Onkologie eine Mischung aus allen Bereichen der Ergotherapie"

Die Onkologie ist ein Arbeitsfeld, dass in Österreich und Deutschland in der Ergotherapie nicht weit verbreitet scheint. Jedoch leben in Österreich rund 400.000 Menschen derzeit mit der Diagnose Krebs [1]. Die Überlebenschancen von Patienten werden durch moderne Therapien immer besser. Viele der Patient*innen müssen jedoch mit Nebenwirkungen der Behandlungen leben. Aus ergotherapeutischer Sicht gibt es viele Ansatzpunkte im Bereich Person, Betätigung und Umwelt. In der Ausgabe 09/24 schreibt Sabina Heizmann zum Beispiel in der Zeitschrift Ergopraxis über Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie. Darin beschreiben Patient*innen Schwierigkeiten beim Zupfen der Augenbrauen, beim Schließen von kleinen Verschlüssen, "Ameisenlaufen", Taubheitsgefühl, uvm. [2].

Eine Nebenwirkung der Chemotherapie sind auch häufig kognitive Defizite. Auch bei neuroonkologischen Geschehen kann kognitives Training indiziert sein. Kurz vor der Veröffentlichung von COGNIBRI, unserer Software, die Therapeut*innen bei der kognitiven Rehabilitation unterstützen kann, haben wir uns gefragt, wie wir dieses Arbeitsfeld unterstützen können und wollen helfen eventuelle Scheu vor dem Arbeitsfeld abzubauen.
Wie ist es als Ergotherapeut*in in der onkologischen Reha zu arbeiten?

Wir durften ein Interview mit Andrea Hofer führen, die nun seit sechs Jahren auf einer
onkologischen Reha arbeitet, freiberuflich im onkologischen Bereich und nun auch mit Vorträgen für angehende Ergotherapeut*innen an der FH-Campus Wien und der IMC Krems tätig ist. Ihren beruflichen Schwerpunkt hat sie somit seit dem Beginn ihrer Ergotherapie-Karriere beibehalten. Seit einigen Jahren teilt sie ihr Wissen auch in ihrer Fortbildung bei Ergotherapie Austria. Wir freuen uns, dass sie sich die Zeit für dieses Interview genommen hat.
Wir danken dir, dass du dir die Zeit nimmst, um uns von deinem Arbeitsfeld zu erzählen. Wie bist du denn auf die Onkologie gekommen?
Ich bin da komplett hineingestolpert. Es war einfach Zufall und ich wusste anfänglich nicht so wirklich, was auf mich zukommt. Ich habe während meiner Ausbildung kaum etwas über die Onkologie gelernt, also war es anfänglich tatsächlich Neuland.
Was hättest du denn damals gebraucht, als du in der Onkologie begonnen hast?
Das Wissen, dass es eigentlich eine Mischung aus allen Fachbereichen ist und wir aus der Ausbildung schon recht viel mitbringen. Das hätte geholfen, mir anfänglich diese Scheu zu nehmen. Und eigentlich muss man sich ja nur trauen.
Du bietest über den österreichischen Berufsverband ja auch Fortbildungen zum Thema an - Ist das auch Thema in der Fortbildung?
Ja genau. Wir klären die Grundlagen, die für die Onkologie wichtig sind, besprechen zu welchen medizinischen Therapien es vor Ort kommt - also Chemotherapie, Strahlentherapie, usw. Wir klären grob, wie sie funktionieren und sehr genau, zu welchen Nebenwirkungen es kommen kann. Und wenn man die Nebenwirkungen kennt, dann kann man sich eigentlich auch herleiten, welche Maßnahmen man einsetzen kann.
Was sind denn grob die häufigsten Störungsbilder, denen du im Berufsalltag begegnest?
Es kommt stark auf die Art der Behandlung an, aber am Häufigsten sind Sensibilitätsstörungen, kognitive Einschränkungen, gestörte Narben, Fatigue oder psychische Symptome. Auch Gelenksbeschwerden und Bewegungseinschränkungen, die am ganzen Körper auftreten können, sind sehr häufig. Für viele Patient*innen ist auch das Themas Sexualität sehr präsent.
Was macht die Onkologie als Arbeitsfeld in deinen Augen besonders?
Bei den Patient*innen kann man mit wenig meistens extrem viel erreichen. Oft reichen einige Minuten Aufklärung und die Patient*innen haben ein komplett neues Bild auf die Nebenwirkung und sind total erleichtert. Und sehr oft kann man eben auch etwas tun, damit die Nebenwirkung weniger wird, im besten Falle sogar komplett verschwindet. Und man spürt immense Dankbarkeit, weil man den Patient*innen ein Stück Lebensqualität zurückgeben konnte. In die onkologische Reha kommen Patient*innen meistens circa ein Jahr nach der letzten Behandlung, aber auch noch in chronischen Stadien, Patient*innen in Remission als auch solche, die als medizinisch geheilt gelten.
Digitalisierung im Gesundheitsbereich ist derzeit in aller Munde - wie sieht denn der Stand in der Onkologie aus?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass teletherapeutische Anwendungen hier gut herpassen. Gerade, weil nicht immer ein Hands-on-Ansatz notwendig ist oder beispielsweise auch für Verlaufskontrollen. Ebenso im kognitiven Bereich oder in der Anwendung des Heimübungsprogramms ist es meiner Meinung nach gut möglich. Und was Apps angeht, die Patient*innen fragen auch immer wieder nach Heimübungsprogrammen - ich glaube, dass es hier großes Potenzial gäbe, die Patient*innen zu unterstützen. Es gibt schon einige Versuche technische Hilfsmittel einzusetzen, aber oft halt im falschen Bereich. Zum Beispiel gibt es seit dem heurigen Jahr, verpflichtend für die Patient*innen, fix fertige Video-Vorträge über Tabletts zu einzelnen Themen. Diese wurden mit eine KI-Stimme gesprochen, sind aber für einige Leute so langsam und eintönig, dass es die Patient*innen nach kurzer Zeit auf die Seite legen.
Was braucht das Arbeitsfeld, deiner Meinung nach?
Definitiv mehr Bekanntheit - Viele Krebspatient*innen wissen gar nicht, dass es uns gibt und der Bedarf wäre auf jeden Fall vorhanden. Da ist auch eine höhere Zuweisungsrate bei den Ärztinnen und Ärzten gefragt. Im Krankenhaus wird leider oft durch fehlende Zeit zu wenig Information über uns weitergegeben und oft bekommen Patient*innen dann auch die Information, dass sie mit gewissen Symptomen leben müssen, die aber durchaus behandelbar wären. Bei Patient*innen kommen bedauerlicherweise auch die finanziellen Hürden dazu - und die fehlenden Krankenkassen-Plätze. Es ist meistens doch ein langer Behandlungsweg in Dauerkrankenstand, oft mit Notstandshilfe und oft fehlen die finanziellen Mittel um sich beispielsweise Therapien leisten zu können.
Für Ergotherapeut*innen, die sich für die Onkologie als Arbeitsfeld interessieren - was würdest du ihnen gerne mitgeben?
Traut euch einfach. Es ist ein vielfältiges Arbeitsfeld, das viele Möglichkeiten bietet. Es gibt auch Lehrgänge, die ich empfehlen kann: Zum Beispiel bietet das Ordensklinikum Linz die sogenannte “Krebsakademie” für Gesundheitsfachkräfte an. Und ab diesem Jahr darf ich auch auf der FH den Studierenden schon etwas über das Arbeitsfeld mitgeben. Was man definitiv nicht haben muss, ist Angst. Die Patient*innen sind meist sehr lebensbejahend und ich habe mit den meisten wirklich viel Spaß in der Therapie. Es ist ein spannendes, breitgefächertes Feld.
Deine Fortbildung findet über den Ergotherapie-Verband Österreich statt - wann ist der nächste Termin?
Der nächste Termin ist der 13.09.2024.
Alle näheren Informationen zur Fortbildung "Onkologie in der Ergotherapie - Grundlagen für die Arbeit mit onkologischen Patient*innen findet ihr unter hier.
Über Andrea Hofer:
2015 - 2018 Studium Ergotherapie, FH Joanneum Bad Gleichenberg
seit 2018 Ergotherapeutin in der Onkologischen Rehabilitationsklinik „Der Sonnberghof“ in Bad Sauerbrunn, Burgenland
seit 2019 Vortrag beim AHOP-Kongress „Chemotherapie induzierte Polyneuropathie“
seit 2021 Webinar „Ergotherapie in der Onkologie“ am FBZ Klagenfurt
Quellen:
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